Donnerstag, 26. März 2015

Keine Gründe mehr

Norman Schultz: Herr Eisleben, sie behaupten unter anderem, dass der Abschied von der Metaphysik im wesentlichen einen Abschied von den Gründen bedeutet. Was meinen Sie damit?

Alfred Eisleben: Der Abschied von den Gründen bedeutet eine nüchterne Umstellung der Gesellschaften darin, wie sie die Welt analysieren. Gehen Sie in die höheren Wissensbereiche, so denken wir nicht mehr über Verursacher nach, sondern das multifaktorielle Gebilde "Welt" entzieht sich aller Rechenleistung und kann nur strategisch verstanden werden.

Auf der anderen Seite gehört die Weltsicht, dass die Welt durch eindeutig identifizierbare Gründe bestimmt wäre, den Verschwörungstheoretikern. Sie glauben für jedes Ereignis gäbe es einen eindeutigen Grund und sie könnten demnach den Dingen auch auf den Grund gehen.

Das ist ein Extrem, der Nachmetaphysiker hingegen versteckt sich hinter Komplexität.

Norman Schultz: Warum meinen Sie mit "versteckt"? Mir scheint, sie sagen, dass der Nachmetaphysiker nicht den richtigen Zugang zur Welt hätte.

Alfred Eisleben: Nun, einerseits ist der Abschied von den Gründen eine sinnvolle Investition in unsere empirische Wissenschaft. Galileo glaubte ja zum Beispiel noch, dass die Katze sieben Löcher habe und dass es daher auch sieben Planeten geben müsse. Seine Annahme war simpel: Wenn die Natur überall durch Gründe wirke, dann müsste auch das Universum in gleicher Weise bewirkt worden sein. Auch für die alten Griechen war der empirische Bereich dafür da um Erfahrungen zu sammeln. Wenn sie mit der heutigen Experimentierleidenschaft und der statistischen Auswertung konfrontiert worden wären, so wären sie in tiefste Verwunderung gestürzt. Sie hätten gesagt: "Wie du möchtest überprüfen, ob unser Auge wirklich aus Wasser besteht?" Sie hätten sich zutiefst gewundert, warum jemand Verstandeserkenntnisse nochmals im Versuch bestätigt haben möchte. 

Die Umstellung von den rationalen Grundstrukturen auf eine Bestätigung im Versuch, die sich daher in den experimentellen Wissenschaften vollzog, war daher sehr wohl richtig, und dennoch sind Formen des alten Denkens zurückgeblieben und in die Gesellschaft noch stärker eingesickert.

Ich glaube zum Beispiel, dass sich die Homöopathie nicht wesentlich von dem Denkmodell Galileos unterscheidet. Beide benutzen einen verqueren Begriff von Ganzheitlichkeit, um beliebige Annahmen in einem kohärenten System plausibel zumachen. Argumentiert wird vorrangig durch Assoziation von Ähnlichkeiten.

Der Abschied von den Gründen bricht dabei mit diesem Vorgehen, sondern liefert Ähnlichkeiten dem Verdacht aus, nur zufällige Wahrnehmung zu Stande gekommen zu sein an. Das heißt, ich schlucke eine Pille und werde gesund. Der Zusammenhang besteht an der Oberfläche und wir übersehen womöglich, dass der Körper sich sehr häufig, gerne selbst heilt.

Diese Denkweise findet sich sehr häufig. Ich las beispielsweise gerade, dass der Zuckerkonsum in den westlichen Staaten um so uns so viel Prozent gestiegen sei, ebenso sei ADS häufiger diagnostiziert. Für viele ist dann sofort klar, dass das ein kausaler Zusammenhang ist, für mich ist dieses Denkunternehmen Denkfaulheit.

Norman Schultz: Gut, das ist der Wandel in den empirischen Wissenschaften, aber sie haben noch nicht beantwortet, warum sich ein Nachmetaphysiker hinter der Komplexität der Welt versteckt.

Alfred Eisleben: Hm. Natürlich hat der Abschied von den Gründen auch negative Konsequenzen. Zwar war es in den empirischen Wissenschaften sinnvoll, sich von den eindeutigen Kausalketten zu verabschieden, zugleich aber haben wir uns von den Gründen in unseren normativen Systemen zurückgezogen. Ich bezweifle, dass Ethiken ohne Grundstrukturen geführt werden können. Ethiken brauchen Gründe. Weil die Welt aber nicht mehr der Grund unseres Denkens war, sondern das Wahrscheinliche, so übertrug sich der Abschied von den Gründen auf alle Bereiche.

Norman Schultz: Können sie das präzisieren?

Prof. Eisleben: Ja, für jeden ist die Schlussfolgerung Galileos Unfug, zugleich haben wir aber ähnliche Denkmodelle. Wie beispielsweise bei dem Vorwurf, dass ein Mediziner niemals ganzheitlich denken würde. Unsere Gegenwart bewegt sich immer stärker weg von eindeutig, identifizierbaren Gründen. Es gibt Anlässe, aber keine wirklichen Strukturen mehr. Für die Normalbürger ist dies unverständlich. Ihre Krankheit wird durch Gluten hervorgerufen, für die Zusätze in ihrem Essen stehen böse Pharmavertreter und der Amerikaner steht hinter den Übeln der Welt. Es gibt einen ungebildeten Prozentsatz, der zwar nicht mehr zur dummen Masse wie früher gehört, sondern sich mit Analysewerkzeugen und Medienkompetenz bewaffnet, aber dennoch kausale Thesen verbreitet. Die Speerspitze des Profits wie auch die Elite des Denkens kann diesem Kausalgewäsch jedoch nicht mehr folgen. Da ersetzt die Datensammlung, die Kausalketten.

Norman Schultz: Sind Kausalketten dann noch wichtig für uns?

Alfred Eisleben: In der Zukunft wird es darauf ankommen, empirische Prozesse noch stärker von dem, was wir kausal sagen können, zu trennen. Kausalketten sind jedoch wichtig für Entscheidungen hinsichtlich unserer Freiheit, hinsichtlich der normativen Vorgaben unserer Gesellschaft. Die Mischung erscheint mir jedoch gefährlich explosiv.

Norman Schultz: Können sie mir dennoch beantworten, warum sich Nachmetaphysiker hinter Komplexität verstecken.

Alfred Eisleben: Ach, es ist ein gewisser Zynismus. Sie glauben, weil wir keine Gründe mehr kennen, würde wir in eine Anything-Goes-Mentalität zurückfallen.


... steht nirgends etwas zu lesen; merkwürdig, wo doch die Atemgeräusche des Co zu hören waren bis zum Schluß. Und auch daß der Pilot versucht habe, sich durch Lautäußerungen in Verbindung mit dem Co zu bringen, wird nicht erwähnt. Hat das alles in pantomimischer Stummheit stattgefunden? Schwer zu glauben. Genauswenig wie eine Aussage, die dahingehend lautet, daß vor des Piloten Verlassen des Cockpits das "Zurückrollen eines Stuhls" zu vernehmen sei. Haben die da stinknormale Bürostühle mit Hartbodenrollen im Cockpit?
Ich fürchte, die bekannte Verdummungsmaschine hat schon wieder ganz schön an Fahrt aufgenommen.

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